MICA INTERVIEW

Vor 15 Jahren ist die in Mexiko aufgewachsene Musikerin, Veranstalterin und Musikerzieherin AngĂ©lica CastellĂł in Wien gelandet. Hier spielt sie sowohl Alte als auch Neue als auch experimentelle Musik und verwendet fĂŒr diese Zwecke eine Paetzold-Subbass-Blockflöte, Cassetten und Elektronik. Sie musiziert im Blockflöten-Ensemble Plenum, im Low Frequency Orchestra, in den Bands Zimt und Subshrubs, in den Duos Chesterfield (mir Burkhard Stangl), frufru (mit Maja Osojnik), cilantro (mit Billy Roisz) und vielen anderen mehr. Sie tritt auch solo auf, komponiert und gestaltet Soundinstallationen. ZusĂ€tzlich organisiert sie seit zehn Jahren die monatliche Konzertreihe „Neue Musik in St. Ruprecht“ in Wiens Ă€ltester Kirche im 1. Bezirk. Alois Sonnleitner hat AngĂ©lica CastellĂł zum Interview gebeten.

AngĂ©lica, wann bist du aus Mexiko nach Österreich ĂŒbersiedelt bzw. was hat dich an Wien so interessiert, um hierher zu kommen? Wie hast du damals die grundlegenden Unterschiede zwischen den beiden Welten empfunden?

AngĂ©lica CastellĂł: Ich bin 1999 nach Wien gekommen. Heute, glaube ich, bin ich unbewusst-absichtlich in Wien gelandet, es waren ein Haufen ZufĂ€lle, die mich hierher gebracht haben, ohne Planung oder so, ganz intuitiv … Im Nachhinein denke ich, dass das Leben es so wollte, es waren schon in meiner Kindheit die Zeichen da! Eine meiner Lieblings-Zeichentrickfilme als Kind war Heidi (ok, Heidi ist in der Schweiz, aber Alpen halt), in den 1980er Jahren war ich ein Falco-Fan, ich sang seine Lieder tanzend auf dem Dach meines Wohnhauses in Mexiko Stadt mit unglaublicher Leidenschaft (aber ich habe erst in Jahr 2001 erfahren, dass Falco Österreicher war!), mit 15 habe ich Gustav Mahler entdeckt und ihn als meinen Vater ausgewĂ€hlt/adoptiert/getauscht, seine Musik fast auswendig gelernt und davon getrĂ€umt, Orchester-Dirigentin zu werden, um seine Musik eines Tages dirigieren zu können, und ich habe alles mögliche gelesen ĂŒber Wien um die Jahrhundertwende. Und auch Sigmund Freud war immer in meinem Leben prĂ€sent. Mein Vater  hat, als ich schon 8 war, ein Psychologiestudium angefangen, und obwohl er wahnsinnig unseriös war, hat er Freud als Idol ausgesucht und seine Schriften gekauft. Dann kam Schubert auch und Brahms und alle. Dann war der Wunsch, diese Sprache zu lernen. Und als ich dies alles vergessen hatte, da die Musik und mein Leben eine ganz andere Richtung genommen haben, war ich eines Tages plötzlich in Wien, 1999. Damals waren alle grantig wegen der schwarz-blauen Regierung. Es war echt eine eigenartige AtmosphĂ€re, und es war hart,  sehr hart. Schwieriges Land, schwierige Sprache. Aber ich bin geblieben, und ich will nicht mehr weg.

Wie ich die Unterschiede zwischen den zwei Welten empfinde, kann ich nicht so leicht beantworten. Diese Frage wĂ€re vielleicht etwas fĂŒr jemanden, der direkt von Mexiko nach Wien gekommen ist. Aber ich habe ja dazwischen in Montreal und Amsterdam gelebt. Ich habe sozusagen kein klares Bild mehr von irgendeinem Land. Die vermischen sich in meiner Wahrnehmung und sind alle komplexe Wesen, wie Menschen komplex sind. Ich mĂŒsste ein Buch darĂŒber schreiben, vielleicht tue ich es eines Tages.

Hast du in Wien schnell VerbĂŒndete fĂŒr deine musikalischen Ambitionen gefunden? Wer waren deine ersten wichtigen Kontaktpersonen, welche sind es heute?

AngĂ©lica CastellĂł: Ich kam nach Österreich durch meinen damaligen Liebes- und Kunstpartner Albert CastellĂł, wir hatten ein Duo namens „blue rose radio“, und damit haben wir bei einigen Festivals gespielt, das beeindruckteste damals war ein Festival auf dem Riesenrad im Prater, das in den Jahren 1999 und 2000 stattgefunden hat, es war in den Gondeln des Riesenrades, drinnen haben wir MusikerInnen stundenlang gedreht und elektronische Musik gespielt. Ein besseres Willkommen in Wien gibt es nicht!

Im Jahr 2000 machte ich die AufnahmsprĂŒfung auf der Elak (Institut fĂŒr Komposition und Elektroakustik; Anm.). Ich wurde nicht genommen bzw. nur als außerordentliche Studentin, aber es reichte fĂŒr mich, um eine Menge interessanter Menschen kennen zu lernen und bald  Anschluss zu finden, u.a. Kollegen, mit denen ich noch immer arbeite, wie Thomas Grill, Matija Schellander und Robert Kellner, aber auch noch viele andere, mit denen ich schon in sehr interessanten Projekten arbeiten durfte. Ich habe dann nur die Kontakte behalten und doch nicht mehr am Elak studiert, als Elektronikerin hatte ich auch ganz eigene Interessen, da bin ich eigentlich Autodidaktin. und diese Tatsache, nach jahrelangem Konservatorium und UniversitĂ€tsstudium, gefiel mir sehr! Dann kam der Kontakt mit Maja Osojnik und Thomas List aus der Blockflötenwelt, dann Katharina Klement und Andreas Platzer … und dann viele viele andere mehr!

Ich frage mich, wie man so viele Sachen unter einen Hut bringen kann wie du. Du praktizierst Alte, Neue und Improvisierte Musik, du bist Veranstalterin, du unterrichtest. Was eigentlich noch, und bleibt dabei noch Zeit fĂŒr anderes?

AngĂ©lica CastellĂł: Ich arbeite sehr gerne. Alles, was ich tue, erfĂŒllt mich sehr! Ich habe auch noch ein sehr schönes und inspirierendes Sozialleben, ich bin kein Workoholic, der immer arbeiten muss. Aber eigentlich weiß ich nicht, wie es sich alles ausgeht. Es gibt ganz dichte und stressige Perioden, wo ich auch mit diesen vielen Baustellen darunter leide. Aber ich gehe davon aus, dass wenn man/frau liebt, was man tut, geht sich alles aus. FĂŒr mich ist Musik schon eine Art Religion oder Disziplin, die meinem Leben Balance und Schönheit gibt. Ich schulde der Musik und der Kunst alles.

Du bist auch regelmĂ€ĂŸig wieder in Mexiko zu Gast und lĂ€dst immer wieder Kollegen und Kolleginnen von dort nach Österreich ein. Wie funktioniert dieser Austausch aus deiner Sicht?

AngĂ©lica CastellĂł: FĂŒr mich persönlich ist dieser Austausch sehr wichtig. Ich war jahrelang nicht in Mexiko, meine finanzielle Situation hat es damals nicht erlaubt. Ich war zehn Jahre nicht mehr dort, und ich ging als KĂŒnstlerin das erste Mal im Jahr 2008 zurĂŒck. Ich glaube nicht an Heimat oder NationalitĂ€t, aber Tatsache ist, dass, wenn ich in Mexiko bin und mit meinen mexikanischen Kollegen arbeite oder diskutiere, eine andere AngĂ©lica aufwacht. Eine, die mir sehr gefĂ€llt und mich glĂŒcklich macht. Ich möchte meine KollegInnen hierher bringen, und ich möchte, dass meine KollegInnen hier in Wien auch sie kennen lernen, und dass alle miteinander neue Projekte entwickeln und miteinander spielen – und eines Tages werde ich eine riesige experimentelle Sinfonie organisieren, wo alle einen riesigen Noise machen, und es werden sich diese KlĂ€nge von Österreichern und Mexikaner vermischen, so wie diese zwei LĂ€nder in meinem Kopf sehr vermischt sind, sozusagen. Ich denke, dass dieser Austausch, aus meiner Sicht, auf dem angĂ©licanischen Planeten sehr gut funktioniert!

Wie nimmst du als politisch denkender Mensch, als der ich dich kenne und schĂ€tze,  Österreich in Hinsicht auf den Umgang mit Menschen anderer Herkunft wahr?

AngĂ©lica CastellĂł: Es schmeichelt mir, dass du mich als politisch denkenden Mensch siehst, da ich mich nicht so wahrnehme. Ich denke eher, dass ich ein sehr verwirrtes politisches Denken habe – und dann wiederum eher negativ.  Die Österreicher wie die Mexikaner und eigentlich alle Menschen auf dieser Welt sind im Prinzip egoistisch, ungebildet und nicht  so sensibel. Es gibt leider wenige, die an die anderen denken, die sich fĂŒr eine Gesellschaft oder eine Welt mit einem kulturellen, ökologischen, emotionellen wie materiellen Gleichgewicht konkret einsetzen. Wie auch immer, die meisten Menschen, glaube ich, wollen es so gemĂŒtlich wie möglich haben, sich nicht „anstrengen“, Andersdenkende oder von anderer  Herkunft kommende Menschen zu treffen, zu akzeptieren, mit ihnen zu lernen. Dies ist zwar generell gesagt, aber das ist es, was ich in der Straßenbahn/im Bus sehe. Aber meine RealitĂ€t ist nicht so, ich habe immer GlĂŒck gehabt, die Menschen und Freunde und Institutionen hier waren meistens gut zu mir. In den meisten FĂ€llen ist es reines GlĂŒck, ob man/frau gut behandelt wird. Ich selbst, so kommt es mir vor, lebe und arbeite in einer gewissermaßen privilegierten Umgebung, was das betrifft.

Angélica, was sind deine nÀchsten Vorhaben, sowohl was Gruppierungen oder Projekte anbelangt als auch deine nÀchsten Konzerte?

AngĂ©lica CastellĂł: DemnĂ€chst kommt eine Veröffentlichung meiner Komposition sonic blue auf Vinyl bei Interstellar Records heraus. Ich komponiere zwei neue Werke, eines fĂŒr das Reconsil Ensemble und eines fĂŒr das mexikanisches Duo alcantara/terrazas. Mit dem Ensemble Plenum werden wir versuchen, heuer noch oder im FrĂŒhling 2015 unsere erste Platte zu veröffentlichen, nebenbei gibt es allerlei Konzerte und Projekte mit dieser Band. Mit  SQID – einem Quartett mit Attila Faravelli, Mario de Vega und Burkhard Stangl – kommt bald eine CD beim russischen Label Mikroton Recordings heraus . Und natĂŒrlich spiele ich allerlei Konzerte mit meinen verschiedenen Projekten. Es gibt auch einige neue Solowerke, die ich urauffĂŒhren mĂŒsste bzw. möchte, die fĂŒr mich komponiert worden sind und werden, wie z.B. vom mexikanischen Komponisten Wilfrido Terrazas oder von Julia Purgina oder Manuela Kerer. Dazu noch unterrichten und eine pĂ€dagogische Ausbildung fertig machen am EisenstĂ€dter Konservatorium und irgendwann mit der Reihe Neue Musik in St. Ruprecht wieder anfangen, unser „call for projects“ geht bald online. Und die Freunde treffen und kochen und trinken – und manchmal schlafen.

Alois Sonnleitner

Foto 1: David Murobi
Foto 2: Elvira Faltermeier